Der 1000-Wort-Essay
- If you have time say it short
Mit einem 1000-Wort-Essay üben Sie, auf begrenztem Raum zielgruppengerecht eine Argumentation zu entwickeln. Interpretieren Sie die formalen Randbedingungen als Spiel: Stellen Sie sich vor, sie wollen in einer kurz bemessenen ,,Sendezeit'' möglichst wirksam möglichst viel Inhalt an ihre Leser (oder Zuhörer) herantragen.
Sie benötigen diese Fähigkeit überall dort, wo Sie nicht endlos Zeit haben, sich Gehör zu verschaffen - etwa dann, wenn Sie u für eine Tagung einen Abstract einreichen; für eine Zeitschrift oder Zeitung einen Artikel schreiben wollen; in einer Teamsitzung eine Entscheidung vorbereiten wollen; auf einer Podiumsdiskussion (Politik, Studium Generale, Wissenschaft) ihre Position stark machen wollen; in eine Diskussion einführen wollen.
Formale Randbedingungen
Aufbau
- Titel des Essays, Datum, Korrespondenzanschrift des Autors;
- Text, angemessen strukturiert durch Absätze, möglicherweise auch Überschriften (höchstens eine Überschriften-Ebene);
- evtl. Literatur (da Sie i.A. eigene Gedanken entwickeln und darstellen wollen, wird der Anteil an zitierter oder referierter Literatur sehr gering sein.)
Umfang
- Hier vorgeschlagen: 1000 Worte. Abweichung der Wortzahl maximal 10 Prozent; Essayüberschrift, Literaturhinweise, Adresse des Autors etc. werden nicht mitgezählt.
Von der Idee zum Produkt
Einem Essay gehen immer Phasen der Ideenfindung, Recherche und inhaltlichen Auseinandersetzung voraus. An dem Punkt, an dem Sie glauben, etwas klar und deutlich verstanden zu haben, beginnt der eigentliche Schreibprozess. Einem guten Ergebnis dienen folgende Schritte:
Idee und Anliegen fixieren
Gemäß dem Philosophen Hans-Georg Gadamer hat man einen Text erst dann wirklich verstanden, wenn man weiß, auf welche Frage er eine Antwort gibt. - Kennen Sie Ihr eigene Fragestellung ganz genau?
Vergegenwärtigen Sie sich Ihr Kommunikationsanliegen auf doppelte Weise: Was sind Ziel, Botschaft oder Appell Ihres Textes? Sie müssen nicht nur Antworten geben. Ein oft wertvolleres Ziel ist es, fest zementierte Antworten zu destruieren, um neue Fragen aufzuwerfen und sie dem Leser als akut und wichtig anzudienen.
Formulieren Sie für sich eine schriftliche Antwort. Die zweite Frage hilft Ihnen, sich selbst besser zu verstehen.
Die Antwort auf die erste Frage ist der Zielpunkt ihres Aufsatzes. Schreiben Sie den Schluss zuerst auf; alles andere bereitet diesen Zielpunkt vor.
Adressaten und Kontext bestimmen
Überlegen Sie sich genau, für wen sie einen Text verfassen, und in welchem Kontext erscheint:
- Wenden Sie sich an Leser oder an Zuhörer?
- Befinden Sie sich im vernünftigen, an Erkenntnis orientierten Sachdiskurs oder in einer politischen, interessengeleiteten Situation?
- Welches Informationsinteresse setzen Sie bei Ihren Lesern voraus?
- Wollen Sie einen Sachverhalt erklären? Wollen Sie Lösungen präsentieren? Wollen Sie eine nichttautologische Argumentation verständlich machen? Wollen Sie Problembewusstsein zu einer Ihnen wichtigen Frage erwecken? Wollen Sie zur weiteren Beschäftigung mit einem Thema anregen?
Aufstellung der Inhalte
Wählen Sie jetzt aus Ihrem Wissensschatz diejenigen Aspekte aus, die für Ihre Ziele, Ihre Adressaten und Ihren Kontext wichtig sind.
- Ordnen Sie ihre Aspekte zunächst nach sachlichen Gesichtspunkten, ohne sich jetzt schon Gedanken darüber zu machen, in welcher Reihenfolge sie die Inhalte präsentieren werden.
- Diese Ordnungs-Relationen können Sie mittels ,,nicht-prosaischen'' Schreibtechniken wie etwa Assoziations-Clustern, MindMaps oder Diagrammen aufs Papier bringen.
- Bestimmen Sie hier auch schon, auf wen oder auf was Sie sich argumentativ stützen wollen: auf Theorien, Beispiele, Methoden, Autoritäten - oder auch ,,nur'' den gesunden Menschenverstand.
Als Resultat dieser Entscheidungen ensteht eine Inhalts-Struktur.
Reihung der Inhalte
Bestimmen Sie jetzt für Ihre inhaltliche Struktur eine sinnvolle Reihenfolge: Gehen Sie Sie vom Besonderen zum Allgemeinen (induktiv) vor oder umgekehrt (deduktiv)? Wo zählen Sie auf, wo stellen Sie gegenüber? Was beweisen Sie, wo argumentieren Sie, wann plädieren Sie? Welche Aspekte bauen in welcher Reihenfolge aufeinander auf?
Als Resultat dieser Entscheidungen ensteht Ihre Gliederung.
Sprache und Stil
Entscheiden Sie sich für einen durchgängigen Stil. Er sollte sowohl Ihren Adressaten als auch dem Kontext Ihres Textes angemessen sein. Nicht jedes Kommunikationsanliegen ist in jedem Kontext realisierbar.
Die Herstellung von Prosa
Jetzt dürfen Sie schreiben Fangen Sie erst jetzt mit der Produktion von Fließtext an! Achten Sie darauf, dass Sie ausgeruht sind und ihr Geist frei ist.
Korrigieren Sie Tippfehler, verbessern Sie einzelne Formulierungen. Aber pfuschen Sie nicht an Ihrem Text herum. Wenn Sie einzelne vorangehende Schritte korrigieren oder widerholen müssen, wird sich dies auf die nachfolgenden Schritte auswirken. Schreiben Sie Ihren Text notfalls neu.
Revision
Lassen Sie den Text einige Tage liegen. Gehen Sie ihn dann nocheinmal durch; überlegen Sie sich:
- Welche Begriffe könnte der Leser missverstehen?
- Was muss der Leser wissen, um mich hier zu verstehen?
- Wo könnte ich Fremdworte durch gängigere Worte ersetzen?
- Wo muss ich mir eingestehen, noch nicht genügend in der Sache Bescheid zu wissen?
Trost
Sobald Sie Ihren Text veröffentlicht haben wird Ihnen auffallen, was Sie alles hätten besser machen können.
Trösten sie sich: Wirklich gute Artikel oder Lehrbücher wurden fast immer mehrmals völlig neu konzipiert und geschrieben.