ii.oo Interview 2024-07-17

ii.oo Interview 2024-07-17#

Diese Seite: Interview von Anna Zehentbauer, Projekt ii.oo: Digitales kompetenzorientiertes Prüfen mit Johannes Busse in Anschluss an die erste “scharfe” Rechnerprüfung im Projekt EXaHM im Juni 2024.

Anna Zehentbauer ii.oo: Lieber Herr Busse, Sie haben sich dazu entschieden, die Prüfungsumgebung EXaHM lediglich als ein erlaubtes Hilfsmittel, ähnlich einem Taschenrechner, zu verwenden und sind bei dem Prüfungsformat einer klassischen Papierprüfung geblieben. Aus welchen Gründen haben Sie sich so entschieden?*

Johannes Busse: Von einer Papier- zu einer E-Klausur ist es ein großer Schritt. Es gibt viele Unsicherheiten, alles ist anders. Für die Studierenden sind nach 60 Minuten die Unsicherheiten überwunden, für uns Dozenten fangen sie “downstream” erst an: Wie korrigiert man ein Jupyter Notebook? Darf man die Datei anfassen, insbesondere Code ausführen um zu prüfen, ob die behauptete Lösung stimmt? Wo mache ich Korrektur-Annotationen: im Notebook selbst? Dann verändert man ja die Datei: Will man das? Jedenfalls ist eine rechtssichere Archivierung der Originaldatei erforderlich. Einfacher sind Annotationen, Punktevergabe etc. auf Papier: also doch alles ausdrucken? Auf einem pdf-Reader annotieren wird bei 30 Klausuren insbesondere dann unübersichtlich, wenn man aufgabenweise korrigieren will. Aus IT-Sicht sind das Routineprobleme, aber aus organisatorischer Sicht wird das Gesamtsystem sehr komplex und fehleranfällig.

Welcher Schritt ist der schwierigste? Der erste! Wir haben versucht, diesen ersten Schritt möglichst sicher zu machen, für die Studierenden und für uns. Mit einer Abschrift der Lösungen auf Papier können sich Studierende und Dozent auf gut bekannte Workflows verlassen; sogar bei einem Stromausfall wäre die Klausur nicht gefährdet. Die Entscheidung, Papier als sicher Bank zu nutzen ist Ergebnis von grundlegendem Erfahrungswissen jedes Informatikers: (1) mache lieber mehrere kleine Schritte als einen großen Schritt; (2) fahre parallele Systeme, stelle Fallback-Optionen bereit; (3) verfüge über eine sichere Recovery-Strategie. Und rechne damit, dass schiefgehen wird, was schiefgehen kann.

Anna Zehentbauer ii.oo: Uns interessiert auch die didaktische Perspektive von Ihnen als Lehrperson auf das System. Worin liegen die Vorteile in der Nutzung der Prüfungsumgebung im Vergleich zu Ihren bisherigen Prüfungen?*

Johannes Busse: Wir betrachten die Python als eine Sprache. Um eine Sprache zu lernen, muss man sie sprechen. Aus didaktischer Sicht orientieren wir uns im Programmiersprachen-Unterricht an einer Sprachlerndidaktik. Python zu lernen, eine Programmiersprache zu lernen, erfordert eine entsprechende Umgebung.

Moderne Entwicklungsumgebungen unterstützen mit Autovervollständigung, Syntaxcheck, Type-Hints etc., uns geben uns unmittelbare Rückmeldungen auf unsere Aktionen. In einer solchen Umgebung zielgerichtet Lösungen entwickeln zu können ist Kernkompetenz eines Programmierers. Unser Modul Python 101 wendet sich insbesondere an Studierende ohne Vorkenntnisse. Sie in eine moderne Entwicklungsumgebung – hier Juypter Notebooks – einzuführen ist integraler Bestandteil unseres Moduls.

Wir folgen hier auch der didaktischen Idee Constructive Alignment. Schon zu Beginn des Kurses stellen wir unseren Studierenden die Prüfungsumgebung unter www.jbusse.de/dsci-lab/ in Form eines virtuellen Rechners zur Verfügung. Mit dieser Umgebung können die Studierenden auch zu Hause orts- und zeitunabhängig lernen. Insbesondere erarbeiten die Studierenden während des Semesters auch ihre Übungsblätter in dieser Umgebung, wir verringern also den Medienbruch zwischen Lernen und Prüfen: Eine bekannte Prüfungsumgebung reduziert den Prüfungsstress.

Auch sind in der virtuellen Maschine alle wichtigen Vorlesungsunterlagen inklusive Skript und Übungsblättern in der html-Fassung mit voll funktionsfähiger Suchfunktion zugänglich. Auch der dicke Aktenordner mit ausgedrucktem Skript wird dadurch entbehrlich. Im Ergebnis haben wir eine Kompetenzdemonstration in einer authentischen komplexen Umgebung.

Anna Zehentbauer ii.oo: Unter welchen Umständen könnten Sie sich in Zukunft vorstellen, komplett digital zu Prüfen und welche(s) Entwicklungspotential/-perspektive sehen Sie für Ihre Prüfungen im Bereich Informatik?

Johannes Busse: Ein Nachteil der in diesem Semester gewählten reinen Papier-Version (die Datenschutz-Freigabe lag zu spät vor) lag darin, dass man auf Papier eine vermeintliche Lösung sieht, aber nicht testen kann, ob sie tatsächlich funktioniert. In ein paar Zweifelsfällen musste ich eine fancy Lösung selbst wieder eintippen, da habe ich mir “ins Knie geschossen”, das muss in Zukunft einfacher werden. Lösung: Papier plus ergänzend die Jupyter Notebooks der Prüfungsteilnehmer. Inzwischen habe ich auch ein Python-Skript geschrieben, das zu jeder einzelen Klausurfrage alle Lösungen der Studierenden in einem ausführbaren Notebook gut korrigierbar zusammenfasst. Bei Bedarf können die einzelnen Aufgabenlösungen auch auf Ähnlichkeit untersucht werden, wir probieren das im kommenden WS im Übungsbetrieb mit skalierenden Teilnehmerzahlen mal aus. Auf Papier komplett verzichten? Wohl noch nicht in der nächsten Runde.

Eine Infrastruktur für digitales Prüfen habe ich mir für das Fach Programmieren lange herbeigesehnt. Digital heißt ja nicht, ein Buch als PDF herunterladen oder einen Multiple-Choice-Test automatisch auswerten lassen zu können. Digital in einem anspruchsvollen Sinn meint die symbolische Kodierung von Wissen im Austausch mit einem System, das symbolisch codiertes Wissen “versteht” und adäquate Rückmeldung geben kann. Nur damit kann “Digitalisierung” heute gemeint sein.

Programmieren ist eine digitale Sprechhandlung sui generis. In einer Prüfung auf Papier kann kann man Wissen abfragen – aber um Kompetenzen demonstrieren zu können, benötigen die Studierenden eine adäquate Entwicklungsumgebung, wie sie das Exahm-Projekt bereitstellt. Es wäre sehr schade, die hier endlich erreichten erste Erfolge nicht weiterzuführen zu können. Ich hoffe jedenfalls inbrünstig, dass die HAW Landshut auch im kommenden Semester den Studierenden wieder eine digitale Prüfung anbieten kann.