Was ist eine konkrete, interessante und angewandte Fragestellung an einer Fachhochschule?
Eine Fragestellung für ein Studienprojekt (Seminararbeit, Studienarbeit etc.) an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften hat mindestens drei Aspekte:
- Technologie
- Fall
- wissenschaftliche Perspektive
Technologie
Technologie ist Logos über Technik, also Technik plus das Wissen darüber. Wenn man in einem Studienprojekt alleine eine Technik oder Technologie in den Blick nehmen will, kann man z.B. sich in ein Themenfeld einarbeiten, eine Software programmieren und/oder Nutzerhandbuch schreiben.
Aus anwendungsorientierter Perspektive müssen wir uns fast immer auf eine bestimmte oder sehr wenige Technologien festlegen - anders hätten wir keine Chance, praktisch wirksam zu werden.
Dennoch: Sich lediglich auf Technologie zu konzentrieren mag sinnvoll sein, wenn man an der reinen Erkenntnis oder ausschließlich an Technologie interessiert ist - eine Anwendungsorientierung ergibt sich daraus noch nicht.
Fall
Wir sind eine Hochschule für angewandte Wissenschaften, uns interessiert die Anwendung. Wir wollen also nicht "aus heiterem Himmel" über eine Technologie schreiben oder diese gestalten oder programmieren, sondern immer auch ein mehr oder weniger bestimmtes Problem lösen.
An einer HAW geht es meistens darum, eine Technologie in einem mehr (d.h. sehr konkret) oder weniger (d.h. eher generisch) bestimmten Fall anzuwenden:
- Ohne Fall keine Fragestellung!
Wissenschaftliche Perspektive
Bleibt also offen, wie man die Anwendung von Technologie erfogreich durchführen und den erfolg einer Anwendung definieren und feststellen kann. In einem Softwarehaus kann man unter Erfolg Verkaufszahlen, in einer Unternehmensberatung Kundenzufriedenheit verstehen.
An einer Hochschule für angewandte Wissenschaften dagegen wollen wir erfolgreiches Vorgehen als eine Frage des wissenschaftlichen Habitus' im allgemeinen und der spezifischen wissenschaftlichen Perspektive verstehen - wobei es gerade von letzterem mehr Spielarten und Differenzierungen gibt, als man sich zu Beginn eines Studiums vorstellen kann.
Wahrheitsfähigkeit
vgl auch neueren Text: ( Wissenschaft ist wahrheitsfähig)
Aus der Forderung nach einer wissenschaftlichen Perspektive folgt im Detail:
- Zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens gehört es,
- (a) eine genügend konkrete, genügend interessante und angewandte Fragestellung zu haben, und
- (b) diese Fragestellung im Idealfall wissenschaftlich, zumindest aber "nach Art der Wissenschaft" zu bearbeiten.
- Das eigene Vorgehen zur Beantwortung der Fragestellung
- muss erkenntnisorientiert, systematisch, reflektiert und intersubjektiv nachvollziehbar sein,
- wobei fremde Ideen und genuin eigene Leistung gut erkennbar unterschieden werden müssen.
- Die Fragestellung muss so klar formuliert sein, dass erkennbar ist,
- welche Aspekte am Ende der Arbeit bearbeitet wurden,
- wo eine Lösung gefunden wurde, aber auch,
- wo sich Hoffnungen als Irrtümer herausstellten, oder
- welche Lösungsansätze negative Ergebnisse lieferten.
NB: Wiss. Kompetenzen, Shaper HRK, S.8:
Der Versuch einer Problemlösung, in der nicht klar wird, wie ein Misserfolg zumindest im Prinzip auch als Misserfolg erkennbar werden könnte, hat keine genügend konkrete Fragestellung verfolgt. Wissenschaft bewegt sich immer im Bereich der Kontingenz, d.h. sie bearbeitet Gebiete, in denen die Dinge so und so, aber genausogut auch so und so anders sein könnten.
- Eine Fragestellung, in der Misserfolge prinzipiell gar nicht auftreten können oder sogar völlig undenkbar sind, ist nicht wahrheitsfähig, und hat daher nichts mit Wissenschaft zu tun.
Das Kriterium der Wahrheitsfähgkeit bezieht sich auch auf die Studienarbeit an sich. Auch hier muss geklärt werden, welche Aspekte der Arbeit "nach Art der Wissenschaft" objektiv prüf- und bewertbar sind. Je nach Anlage der Arbeit wird dies eine Mischung von Methoden (incl. Qualitätssicherung) und Ergebnisse der Arbeit sein. Bei angewandten - und damit meist auch gestaltungsorientierten - Arbeiten muss ergänzend auch geklärt sein, wo ganz spezifische, subjektive und oft "weiche" Einzelfall-Beurteilungen der Ergebnisse angemessen sind.
Um eine genügend konkrete angewandte Fragestellung zu entwicklen ist es i.A. sehr hilfreich, wenn zwischen Student, Dozent und ggf. Wirtschaftspartner frühzeitig das Gespräch gesucht wird.
Fragestellung und kompilatorische Sachdarstellung
vgl. auch Text: ( Plagiat-Falle kompilatorische Hausarbeit)
Manche (Seminar-, Studien-, Bachelor-, Master-) Arbeiten sind als Ansammlung von Wahrheiten angelegt, die sich der Autor in allerlei Texten angelesen und zu einer neuen Darstellung zusammengefasst hat.
So gut recherchiert, intelligent oder systematisch solche kompilatorischen Arbeiten sein mögen lassen sie doch ganz wesentliche Fragen offen: Warum sollte der Leser das lesen wollen? An welche Leser wendet sich die Arbeit? Was will uns der Autor sagen?
Bisweilen steckt hinter solchen Arbeiten der Wunsch, dem Leser zu zeigen, wie tief oder umfassend man sich in einem bestimmten Gebiet auskennt. In der Tat gibt es z.B. den Texttyp Lexikonartikel, bei dem Anerkennung nach dem Prinzip "gut gebrüllt, Löwe!" winkt. So ehrenhaft es für einen anerkannten Experten auf einem Gebiet ist, einen Lexikonartikel zu verfassen, so ungeeignet ist dieser Texttyp leider für eine studentische Arbeit.
Natürlich hat auch eine studentische Arbeit Teile, in denen Tatsachen dargestellt und referiert werden. Denn das, was man tut, soll ja auch auf einen anerkannten, konsenualen, klar erkennbaren Wissensbestand bezogen (und nicht nur beschreibende Individualempirie) sein.
Dennoch können an einer angewandten Hochschule Sachdarstellungen nie Selbstzweck sein, sondern müssen immer in einen größeren Zusammenhang eingebunden sein: Eine Arbeit an einer angewandten Hochschule ist geradezu dadurch definiert, dass sie nicht lediglich ein Thema referiert, sondern für eine konkrete Herausforderung eine Lösung sucht. ( Diese Suche nach einer Lösung muss nun nicht unbedingt einem Wissenschaftsanspruch folgen, wie er für eine Promotion angemessen wäre. Umgekehrt wäre ein reiner Projektbericht eines Mitarbeiters in einem Unternehmen in wissenschaftlicher Hinsicht sicherlich "zu dünn".)
An einer FH suchen wir einen Mittelweg: die Abschlussarbeit eines Studierenden an einer Hochschule sollte wenigstens nach "nach wissenschaftlicher Art" erfolgen, also die Idee der Wissenschaftlichkeit zumindest als regulatives Ideal berücksichtigen. Und wenn man nicht gerade Grundlagenforschung betreibt, gehört zu dieser Idee nun einmal notwendig dazu, etwas interessantes in Erfahrung bringen, ein konkretes Problem lösen, kurz: eine bestimmte Fragestellung verfolgen zu wollen.