[[ argument_mining_2020-03-13 ]]

Dieser Text: Brainstorming “Argumentationslogik”. Anlass: ein Kollegen hat mich in einem Vortrag zur Rekonstruktion von Argumentationen in Texten auf das Tool [[ https://argdown.org/ ]] hingewiesen; sieht super aus, will ich ausprobieren!

Um argdown.org zielgerichtet auszuprobieren zu können vergewissere ich mich zuerst meines Vorwissens: Welche in weitestem Sinn “logischen” Schlussmuster kenne ich? Mit welchen Items, Wissensrepräsentationen würde ich textbasierte Argumentationen modellieren?

Grundelemente

eine große, offene Menge von (Tatsachen-) Behauptungen, sog. Prädikatoren

  • vorwiegend beschreibende Tatsachen-Sätze

  • Behauptungen der Form “es ist erlaubt/geboten/verboten”, “ich weiß/bezweifle, dass” etc. sind in diesem Sinn keine Tatsachen-Sätze, aber in einer Argumentation natürlich enorm wichtig. Deshalb stellen wir für solche Sätze zwar nicht im Basis-Setz, wohl aber in Erweiterungs-Sets spezielle Schlussfiguren zur Verfügung.

  • Evidenzen (Korrespondenztheorie der Wahrheit)

  • unbezweifelbare, z.B. durch Introspektion gewonnene Intuitionen (“cogito, ergo sum”)

  • allgemein auch alle abstrakten, hypothetischen, spekulativen, absurde Tatsachenbehauptungen

  • insbes. auch moralische Prinzipien: Kant’sche Verallgemeinerung, Utilitaristisches Prinzip, Kohärenz-Forderung, “cogito, ergo sum” u.V.m.

eine kleine, vergleichsweise abgeschlossene Menge von Schlussmustern

  • Schlussmuster: hier Fachbegriff für [[ https://de.wikipedia.org/wiki/Argument ]] in engerem Sinn: “Abfolge von Aussagen, die aus einer Konklusion und möglicherweise mehreren Prämissen besteht, wobei die Konklusion diejenige Aussage ist, die durch die Prämissen begründet (man sagt auch: gestützt) werden soll.”

  • erhältlich als Basis-Set + Erweiterungs-Sets

Argumente: einzelne Schlüsse gemäß den vorhandenen Schlussmustern, jeweils einige wenige Prämissen zu Konklusionen verbindend

optional, aber sehr wünschenswert sind [[ https://en.wikipedia.org/wiki/Named_graph | named graphs ]]: ein Teil einer Argumentation (genau genommen ihr Graph) kann “gekapselt” und benannt werden; es entsteht ein neuer Prädikator

  • und damit auch wieder Gegenstand einer Argrumentation sein

  • d.h. die Gültigkeit, die Struktur, die Komplexität etc. einer Argumentation sind Prädikatoren, die in einer Argumentation verwendet werden können

  • Verwandschaft zu Named Graphs, Prädikatenlogik höherer Ordnung

Argumentation

Argumentation:

  • die Prädikatoren werden  durch Schlüsse zu einem gerichteten (und in der Praxis oft oder typischerweise zyklischen) Graphen verbunden werden

  • der Graph kann auch (und wird oft) zyklisch sein

graphische Darstellung für die Anschauung (und ggf. sogar Theorie-Grundlage?): [[ https://de.wikipedia.org/wiki/Petri-Netz ]]

Schlussmuster Basis-Sets

Set “pro-contra”

  • p spricht für / spricht gegen q

Set “sprachliche Konjunktionen”

gängige Muster der Aussagenlogik, Boolsche Logik

  • typisches Beispiel: p -> q => nicht p -> nicht q (korrekt wäre => nicht q -> nicht p)

  • wir lassen auch ungültige Schlussmuster zu

Schlussmuster Erweiterungs-Sets

Set “pars pro toto”

  • x ist ein Beispiel für y

  • y ist eine Verallgemeinerung von x

Set “epistemische Logik”

  • Logik des Wissens

  • Operatoren: wissen, für möglich halten, für wahrscheinlich halten, evident, intuitiv, unbestreitbar wahr

  • Kennzeichnung “Proposition ist gut begründet oder begründbar” … auch wenn die Begründung im lokalen Graph nicht enthalten ist

  • interessant insbes. auch in Verbindung mit Named Graphs, d.h. anwendbar auf Argumentationen

Set “deontische Logik”

  • Logik des Sollens

  • Operatoren: erlaubt, geboten, verboten, mögllich

Set “Syllogismen”

Set possibilistische, probabilistische, fuzzy, bayes’sche Logik

für Fortgeschrittene: Erweiterungs-Set “Eristik”: Auch Schopenhauers [[ https://de.wikipedia.org/wiki/Eristische_Dialektik ]] sollte darstellbar sein

Erweiterungs-Set “Eristik”: Auch Schopenhauers [[ https://de.wikipedia.org/wiki/Eristische_Dialektik ]] sollte darstellbar sein

  • “Rhetorik” in schlechtem Sinn

  • möglicherweise exakt das erforderliche Instrument für die Rekonstruktion von Fernseh-Debatten?

Argumente vs. logische Schlüsse

In einem logischen Schluss p -> q ergibt sich q zwingend aus p. Voraussetzung für einen logischen Schluss ist eine vorausgehende formallogische Formalisierung.

Bei komplexen Themen ist eine solche vorausgehende Formalisierung nicht möglich. Argumente sind Schlüsse gemäß Schlussmustern wie z.B. p -> q; jetzt sind p und q allerdings natürlichsprachliche Sätze, die gerade nicht logisch-zwingend auseinander folgen. Im Gegenteil: Eine philosophisch gehaltvolle Argumentation zeichnet sich dadurch aus, dass p und q inhaltlich so unterschiedlich sind, dass auch das Argument p -> q inhaltlich gehaltvoll ist.