MINT-Fachkompetenz trifft Ethik

(Dieser Text: Aufspannen der Fragestellung für einen hypothetischen Workshop im SS 2020)

Als Dozent für Data Science möchte ich in meiner Hochschul-Lehre auch die normativen Aspekte meines Faches thematisieren – und zwar spezifisch als Experte für dieses Fach. Mein Wissen zu Aristoteles, Kant, Diskursethik etc. jedoch hilft mir bei der ethischen Reflexion z. B. von autonomem Fahren (BMVI 2017) oder algorithmischer Entscheidungsfindung (Zweig 2018) kaum weiter.

Aus dieser Beobachtung ergeben sich Überlegungen wie: Welcher Zusammenhang besteht tatsächlich zwischen (a) den sogenannten „Grundlagen“ der Ethik, (b) meinen normativ-ethischen Kompetenzen als Mensch und (c) meinen spezifisch technischen Anwendungsfällen und meiner Expertise darin? – Es stellt sich die Frage: Wie kann ich mein eigenes moralisches „Bauchgefühl“ auf diesen Feldern ethisch-normativ rationalisieren?

Konkret stellen sich Fragen wie die folgenden:

(1)

Die wenigsten von uns Kollegen, die wir an einer Hochschule Themen wie autonomes Fahren oder algorithmische Entscheidungsfindung unterrichten oder gestalten, haben im Nebenfach Philosophie studiert. Und jenen unter uns, die gelegentlich über den Tellerrand schauen (es sind nicht wenige), fällt es oft schwer, ethische Themen nicht nur inhaltlich fundiert, sondern gleichzeitig auch didaktisch-methodisch geschickt in ihre Hochschul-Lehre einzubetten (Nida-Rümelin 2015).

Es stellt sich die Frage: Wie gestalte ich die inhaltlich-curricularen und didaktisch-methodischen Aspekte einer „Didaktik der Ethik der KI“ in meinem Fach-Unterricht konkret aus?

(2)

Das Thema KI ist technisch komplex. Es kostet uns Kollegen viel Zeit und Mühe, auch nur in kleinen Teilgebieten nah genug am Stand der Forschung zu bleiben, um in ihnen gestaltend tätig sein zu können. Ethik mag ähnlich komplex sein wie unser Fach, aber wir können ihr – leider –sehr viel weniger Zeit widmen.

Sollen, ja dürfen wir dann überhaupt selbst Ethik unterrichten? Ein profilierter Ethiker beantwortete mir diese Frage mit: „Nein, dazu bist Du nicht kompetent genug“. Logisch betrachtet basiert ein so begründetes Nein auf einem präsupponierten „Man darf nur tun, was man kann“. Dagegen könnte (müsste?) man aber auch mit Kant argumentieren: „Du kannst, denn Du sollst“.

Es stellt sich die Frage: Sind an Orten, wo nur noch wir Fach-Experten die Kompetenz für fachliche Gestaltung vorweisen können, tatsächlich in besonderer Weise auch wir es, die dort vorhandene Gestaltungsräume normativ-ethisch reflektieren sollen?

(3)

An solchen, fachlich tief unter der Oberfläche liegenden Orten trifft man in voller Härte auch auf die Sein-Sollen-Problematik: Wie kommt man von einem Tatsachen- zu einem normativen Urteil? Können uns unsere technischen Normen auch normativ-ethisch unterstützen? Durch welche anderen normativen Verfahren können sie ergänzt werden?

Oft fordern Ethiker an dieser Stelle einen gesellschaftlichen Diskurs. Wenn Experten sich nicht „nur“ als Bürger, sondern auch als Experten in einen solchen Diskurs begeben, ist es ihre Expertise, derentwegen sie nach fachlich begründeten normativen Urteilen angefragt werden – womit wir wieder bei der Anfangsfrage sind:

Wie kann ich als Experte in der Tiefe technischer Details normative Reflexionen angemessen durchführen?

Literatur

  • BMVI (Hrsg.): Ethik-Kommission automatisiertes und vernetztes Fahren. Bericht Juni 2017.
  • Julian Nida-Rümelin, Irina Spiegel, Markus Tiedemann: Handbuch Philosophie und Ethik, Band 1: Didaktik und Methodik. Schöning 2015.
  • Katharina A. Zweig: Wo Maschinen irren können. Fehlerquellen und Verantwortlichkeiten in Prozessen algorithmischer Entscheidungsfindung. Bertelsmann Stiftung 2018.