Ontologien in der Wissenskommunikation

Ontologien in der Wissenskommunikation

Einleitung

Für mich gehört zu einer semantischen Modellierung - einer Ontologie - im Kern dazu, dass sie kommunizierbar ist. Falls sie das ist, ist sie ein Mittel erster Wahl, wo komplexe Begriffe und Begriffs-Strukturen erarbeitet, niedergeschrieben, konstruiert, nachgeschlagen, gelehrt und gelernt, verwendet werden sollen, kurzum, überall dort, wo begriffliches Wissen kommuniziert werden soll.

Spannend wird eine Kritik an der semantischen Modellierung dort, wo das Modellierungs-Werkzeug das Vorbild einer Modellbildung nicht nur verzerrt abzubilden erlaubt, sondern dieses Vorbild nur in Teilen sichtbar werden lässt - oder es gar verändert?

Wenn es stimmt, dass wir in Begriffen denken, ist bei semantischer Modellbildung die Metapher Abbild und Vorbild nicht mehr angemessen? Denn offensichtlich sind ja auch Modelle ein neu geschaffener Teil von Welt; Modellbildung ist dann also eine Erfindung von Realität. Die der semantischen Methode inhärenten Strukturen werden so immer mehr in die Realität eingewoben, strukturieren diese, prägen sich ihr ein.

Die Frage nach dem Ontologiebegriff in der Wissenskommunikation ist gleichbedeutend mit der Analyse dessen, was man vorab akzeptiert haben muss, wenn man Wissen semantisch modelliert - und was man tun kann, um seine Erkenntisprozesse nicht zu sehr auf dogmatische und unfruchtbare Vorgehensweisen einzuschränken.

Der Ontologiebegriff der Informationswissenschaften

Ein dogmatischer Vertreter der Semantic Web Community würde aus Sicht der Semantik folgende Beschreibung wählen:

Wir - Menschen, erkennde Subjekte - glauben eine Realität erkennen und begrifflich modellieren zu können. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Realität "wirklich" existiert, oder ob wir sie in unseren Wahnvorstellungen erschaffen; es genügt die Annahme, dass wir subjektiv das Empfinden haben, eine solche - möglicherweise selbstgeschaffene - Realität beobachten und erkennen zu können.

Die Realität besteht aus Dingen, die wir durch Sehen, Riechen, Schmecken oder auch soziales Handeln bemerken und anhand ihrer Merkmale voneinander unterscheiden können.

Notwendige Grundannahmen

Um ein Ding nicht nur einmal zu erkennen, sondern über die Zeit als ein und dasselbe Ding wiedererkennen zu können, unterscheiden wir ganz unbewusst wesentliche - das Wesen eines Dinges kennzeichnende - Merkmalen von unwesentlichen Merkmalen. (Die Kognitionspsychologie weiß, dass diese Erkennensleistung vorsprachlich angelegt ist und bereits im frühesten Kindesalter angelegt wird.)

Damit wir Menschen über diese Realität sprechen können, benennen wir ihre Dinge und Merkmale (idealerweise eindeutig), z.B. durch empirische oder soziale Zeigehandlungen: Dieses Ding ist "rot", jenes ist ein "Auto", Bert ist "überrumpelt".

Zur Ergebnissicherung unserer Mühe sammeln wir unsere Benennungen in großen Verzeichnissen. Schriftzeichen helfen uns dabei, unsere flüchtigen vorläufigen Benennungen in dauerhaft nachvollziehbare, objektive Bezeichnungen zu überführen. (Der Logiker Herbrand wäre vermutlich bereit, die Wikipedia als ein eigenes Universum zu betrachten.)

Alleine die Möglichkeit eines solchen Verzeichnisses erleichtert unser weiteres Vorgehen ungemein: Statt über nur unscharf und subjektiv aufgezeigte Dinge zu reden, können wir nun statt der Dinge selbst ihre Bezeichnungen verwenden; die Bezeichnungen ersetzen die Dinge.

Manuelle Klassifikation von Dingen

Um die Vielfalt des Erkannten und Benannten handhabbar zu machen, ist es praktisch, gleichartige Dinge zu Gruppen zusammenzustellen: Wir definieren Klassen (lat. classis, Schiffs-Flotte).

Auch Klassen sind Dinge, wir benennen auch sie.

Am einfachsten bilden wir eine Klasse, indem wir mit unseren Händen (lat manus, Hand) - z.B. durch zeigen oder anhäufen - angeben, welche Dinge dazugehören und welche nicht.

Es lassen sich nicht nur einzelne Dinge, sondern auch (typischwerweise kleine) Gruppen von zusammengehörenden Dingen zu einer Klasse gruppieren: Es entstehen sogenannte Relationen, z.B. "dieses Auto ist rot", "dieses Auto hat eine Leiter" oder "Ernie und Bert sind Freunde".

Automatische Klassifikation von Dingen

Alternativ zur manuellen Methode können wir ein Klasse auch durch eine Reihe von charakteristischen Merkmalen beschreiben, die an einem Ding mindestens erkennbar sein müssen, damit das Ding zu der fraglichen Klasse dazugehört (oder auch nicht). Trivialerweise charakterisiert jedes Merkmal seine eigene Klassen: rote Dinge, Feuerwehrautos, befreundete Dinge. Spannender aber sind Klassenbeschreibungen, die auf z.T. komplexen Kombinationen von Merkmalen beruhen: "rote Autos mit Leitern sind Feuerwehrautos"; "ein Priester mit Partner kann nicht katholisch sein".

Die Menge der charakteristischen Merkmale einer Klasse nennen wir die Intension einer Klasse; die Dinge, die zu einer Klasse dazugehören, nennen wir ihre Extension.

Ein Ding kann Klassen zugeordnet - klassifiziert - werden (a) "manuell" anhand von langen, oft mühsam gepflegten Listen von Klassenzuordnungen (in der Praxis sind das dann Datenbanken), oder (b) "automatisch" anhand seiner Merkmale (intensionale Klassifikation).

Die Dinge selbst werden unnötig

Die Zuordnung eines Dings zu den Klassen muss nicht unbedingt auf der manuellen Methode oder charakteristischen Merkmalen alleine beruhen. Sie kann auch darauf beruhen, welchen anderen Klassen ein Ding bereits zugeordnet wurden: Klassen lassen sich auch aufgrund anderer Klassen definieren.

Klassen lassen sich nun ihrerseits anhand der Menge ihrer charakteristischen Merkmale nicht nur unterscheiden, sondern auch ordnen, zueinander in Bezug setzen: Es entsteht eine Klassifikation.

Da jedes Merkmal und jede Relation trivialerweise seine eigene Klasse definiert (s.o.), müssen wir nicht mehr auf Dinge bezug nehmen, wenn wir die Beziehungen von Klassen untereinander festsetzen. Wir können uns jetzt in der schönen, von den Zufälligkeiten und Unschärfen der Realität befreiten Welt der reinen Mathematik bewegen.

Auf Basis der so aufgebauten Klassen-Theorie lassen sich verschiedene formale Logiken - Präsdikatenlogiken, Beschreibungslogiken, Logiken des Wissens oder des Sollens etc. - definieren, mit denen wiederum Beziehungen und mögiche Schlussfolgerungen zwischen Klassen reichhaltig beschrieben werden können.

Die so entwickelten Begriffssysteme wollen wir Semantic Web-Ontologie nennen. Eine Semantic Web Ontologie ist ein auf einer besimmten Klassen-Theorie (genauer: ein auf Herbrand-Universen) aufbauendes formales Modell eines bestimmten Ding-Bereichs. Um sie zu bauen muss man eine Menge an bisweilen esoterisch anmutenden formalen Werkezeugen beherschen; davon abgesehen ist an einer Semantic Web ontologie nicht Geheimnisvolles zu finden. Insbesondere sagt solche eine Ontolgie nichts über die Wirklichkeit aus - denn die wurde ja in einem sehr frühen Schritt in die Zeichenwelt überesetzt, womit sie für den Semantic Web Ontologen unnötig wurde.

Diskussion

Ontologie der Semantic Web Ontologien: Die SWSA

Eine Semantic Web Ontologie hat aus Sicht des Philosophen nichts mit der Disziplin Ontologie zu tun, die er in seinem Grundstudium-Seminar etwas bei der Lektüre von Heidegger kennen gelernt hatte.

Wohl aber ist in einer Semantic Web Ontologie eine philosophische Ontolgie enthalten: Nämlich die impliziten Annahmen, die oben unter der Überschrift "notwendige Grundannahmen" beschrieben wurden.

Die massivste Annahme besteht in der Konstruktion, dass die Realität aus "Dingen"besteht, die anhand von "Merkmalen" mehr oder weniger klar "erkannt" und "unterschieden" werden können. Dies ist eine beliebte und weitverbreitete Form der Wissensrepräsentation, vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Entity-attribute-value_model

Die weitergehende Annahme besteht darin, dass die Dinge und Merkmale der Realität "bezeichnet" werden können, und weitergehend (aber oben nicht weiter ausgeführt): dass menschliche Sprache im Wesentlichen ein Bezeichnungssystem ist. Wir wollen beide Annahmen zusammen als die SemanticWeb-sprachtechnologische Annahme (SWSA) bezeichnen.

Tragweite und Grenzen der SWSA

Die SemanticWeb sprachtechnologische Annahme (SWSA) ist nicht unbedingt falsch. Sie ist teilweise zutreffend genau dann, wo man als Realität auch mentale Konstrukte und die daraus folgenden technischen Konstruktionen zulässt - in unserem Fall Konstruktionen von technisch und sozial einflussreichen Akteuren, wie es Struktur- und Technikwissenschaftler nun einmal sind.

Die SWSA bildet ein schönes, rundes und schlankes, funktionsfähiges und weit tragendes Grundgerüst für die Konstruktion von technischen Artefakten und heute insbesondere der technischen Infrastruktur Internet.

Die SWSA ist jedoch massiv reduktionistisch dann, wenn sie als mehr verstanden werden als ein solches für technische Zwecke konstruiertes Grundgerüst.

Fundamental geradezu "falsch" werden diese Annahmen dann, wenn sie (a) als eine allgemeinere Theorie menschlichen Erkennens und sprachlicher Begriffsbildung postuliert werden, und (b) diese Theorie noch dazu von Protagonisten verteidigt wird, die der Verlockung erlegen sind, diese Theorie selbst in die Methode ihres eigenen Forschens und Erkennens tragend einzubauen.

Gesellschaftlich problematisch würden diese Annahmen, wenn mann sie als ein Grundpfeiler der sogenannten wissenschaftlichen Methode normativ verallgemeinern würde. Kein in der philosophischen Erkenntnistheorie ausgebildeter Wissenschaftler würde dieses allerdings zulassen, wir wollen diesen Aspekt zunächst ausklammern.

Aus Sicht der Erkenntnistheorie gilt es Methoden der Erkenntiskritik zu erarbeiten, die nicht schon von vornherein bestimmten Annahmen über Erkenntnis und Sprache verfallen sind.

Ein probater Ansatz hierzu ist, sich im akademischen Diskurs in Vielfalt zu üben, möglichst viele in sich stimmige (aber untereinader meist inkommensurable) Systeme zunächst verteidigen zu lernen, um sie dann um so fundierter gegeneinander ausspielen zu können.

Wissensmanagement innerhalb und außerhalb der SWSA

Aus Sicht der Ausbildung von Pädagogen gilt es, die enorme pragmatische Leistungsfähigkeit der SWSA zu erkennen und als curricularen Gegenstand zu verankern. Kein Pädagoge, der nicht souverän mit dem Methodenreservoir der SWSA umgehen kann, kann Teenager und Jugendliche angemessen auf den Umgang mit dieser Denk-Technologie im Alltag vorbereiten - geschweige denn eine im eigenen sozio-technischen Alltag verankerte Erkenntniskritik dieser Denk-Technokratie formulieren und vermitteln.

Die fundierte Kritik der SWSA aber hat ihren genuinen Ort auch in der Pädagogik, zumindest dort, wo sie sich noch als eine Bildungswissenschaft und nicht nur als eine von der pädagogischen Psychologie abgeleitete Lehr- und Lernwissenschaft versteht.

Mein eigenes "pädagogisches" Tun bewegt sich im Anwendungsgebiet Wissensmanagement. Im Gegensatz zur Pädagogik, die es im Kern ja mit der Bildung und Erziehung von Kindern zu tun hat, arbeite ich mit Erwachsenen, meistens sogar mit Fach-Experten. Meine "Pädagogik" orientiert sich nicht auf Lehren und Lernen basierend auf einem Wissensvorsprung. Meine Aufgabe ist nicht die der systematischen Wissensvermittlung. Statt dessen verfüge ich über einen Wissensvorsprung auf methodischem Bereich als Knowledge Engineer, insbesondere dem Erarbeiten von begrifflichem Wissen und seiner Modellierung gemäß der SWSA. In der Praxis funktioniert das nur, wenn man die SWSA und ihre methodischen Grenzen genau kennt und begründet entscheiden kann, wo man sie verletzt - wo man also andere Wissensformen zur Geltung gelangen lässt als solche, die sich gemäß der SWSA darstellen lassen.