Inhalte#

Auf dem Forschungstreffen „Ontologie, Linguistik, Terminologie, Logik“ versuchen wir auf fachlich möglichst breiter Basis die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Ontologie, Linguistik, Terminologie und Logik zu verstehen – und zwar gleichermaßen in Theorie und Praxis.

Schwerpunkt 2024#

Im Forschungstreffen 2024 liegt der Schwerpunkt auf Begriffssystemen (Terminologien, Ontologien) in normativen Wissenschaften wie Recht, Verwaltung, Humanwissenschaften. Je detaillierter man in solchen Feldern Begriffe und ihre Beziehungen zu rekonstruieren, dokumentieren und normieren versucht, desto drängender tauchen kritische Fragen auf wie diese:

  • Ergibt sich eine Bewertung eines Sachverhalts schon eindeutig aus der Definition von Begriffen und ihren Zusammenhängen?

  • Lassen sich Begriffssysteme schon „vorab“ und unabhängig von konkreten Fragestellungen, praktischen Anwendungssituationen, individuellen Wertsystemen fixieren, normieren, vorschreiben?

  • Verfügen wir mit praktisch nutzbaren Ontologiesprachen wie insbesondere OWL oder F-Logik über genügend Ausdrucksmacht, um Begriffe aus Recht, Verwaltung, Humanwissenschaften adäquat zu beschreiben? Verfügen wir über praktisch nutzbare Reasoner, um ein adäquates Inferencing zu ermöglichen?

  • Führen in diesen Feldern Ableitungsbeziehungen innerhalb von Begriffssystemen zu Argumentationen, die in der Praxis überzeugen oder auf Zustimmung stoßen werden?

Einen ersten Eindruck über die Komplexität der Thematik gibt Wikipedia > Argumentation Scheme. Dass menschliches Argumentieren und logisches Schlussfolgern teilweise ganz verschiedene Dinge sind, wird ausführlich analysiert z.B. im Standardwerk Walton & Reed 2008. Ob strukturelle Rekonstruktionen von Argumentationsmustern wie etwa Jean Wagemans Periodic Table of Arguments (PTA) ist unklar. Ein Lehrbuch zur juristischen Methodenlehre hält „ontologische oder phänomenologische Definitionen“ geradezu für „verfehlt“: „Eine bloße Beschreibung der Wirklichkeit verhilft nicht zur juristisch relevanten Definition, sondern nur eine Konzentration auf die teleologisch bedeutsamen Merkmale“ (Wank 2020, 218)

Es scheint, dass sich weite Felder menschlichen Argumentierens mit den uns zur Verfügung stehenden formalen Mitteln in keiner Weise zufriedenstellend rekonstruieren lässt. Menschliches praktisches Argumentieren, Begründen, Bewerten ist – zumindest aus Sicht eines formalen Logikers – inhärent unlogisch.

Dies ist letzlich eine vernunft- und aufklärungs-pessimistische Einsicht. In unserem Forschungstreffen loten wir aus, ob sich „unlogische“ Abschnitte praktischer Argumentationen dennoch mit Terminologien, Logik, Ontologien unterstützen lassen können: Gelingt es, ein nicht konkurrierendes, sondern komplementäres, sich fruchtbar ergänzendes Miteinander zu gestalten?

Solche grundlegend erkenntnistheoretischen Fragen sind für uns in folgenden Praxisgebieten unmittelbar anwendungsrelevant:

  • Interkulturalität und Mehrsprachigkeit: Lassen sich Begriffe aus verschiedenen Rechts- und Verwaltungs-Systematiken juristisch und verwaltungstechnisch eindeutig definieren, ohne den interkulturellen Kontext zu verlieren – insbesondere auch dann, wenn hier Belange des Übersetzens und Dolmetschens berührt sind.

  • Natürliche Sprachen vs. Kunstsprachen: Wie verhalten sich natürlichsprachlichen Elemente einer Begriffsdefinition zu den formalen Anteilen einer Ontologie?

  • Explainability von KI: Wann ist die „Erklärung“ einer Schlussfolgerung, die von einem KI-Algorithmus stammt, für Menschen als Argumentation akzeptabel?

  • Strukturierte Dokumentation: Lassen sich die einschlägigen Vorgehensweisen des Terminologiemanagements und der technischen Dokumentation in Feldern wie Recht, Verwaltung oder Humanwissenschaften unmittelbar anwenden? Dürfen wir wenigstens auf einen mittelbaren Transfer hoffen, oder sind gänzlich andere Grundlagen erforderlich?

Methodik#

Wir bearbeiten unsere Fragestellungen nicht nur wissenschaftlich disziplinübergreifend, sondern vor allem auch im Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis. Entsprechend kommen in dem Workshop Wissenschaftler aus Universität und Fachhochschule mit Praktikern aus Wirtschaft und Verwaltung zusammen, um die Thematik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren: Mit dabei sind Menschen u.A. aus Linguistik, Terminologie, Ontologie, Medizin, Medizintechnik bis hin zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie. Wir pflegen eine Kultur des kritischen, aber wertschätzenden Zuhörens, die eine reflektierte Selbst- und Fremdwahrnehmung der Disziplinen unterstützt. Themen rund um Sprache, Logik, Terminologie, Ontologie erfordern Transdisziplinarität als eine nicht wegzudenkende Voraussetzung des Gelingens.

Wenn wir das Verhältnis von Ontologie, Linguistik, Terminologie und Logik besser verstehen wollen, spielt irgendwann doch auch philosophische Ontologie hinein. Diese wird explizit dann relevant, wenn praxisbezogene Arbeitsontologien in Top-Level-Ontologien verankert sind, wie dies z.B. in der General Formal Ontology (GFO) oder auch im CIDOC Conceptual Reference Model (CRM) der Fall ist, oder wenn mit Sprachen wie GenDifS Mikro-Ontologien ad hoc skizziert werden.

In unserem Forschungstreffen wollen wir nicht nur Ergebnisse mitteilen, sondern vielmehr nach Fragen und Forschungsmöglichkeiten suchen. Diese werden oft durch vermeintlich gesichertes Wissen verdeckt, sind aber bisweilen notwendige Grundlage für kreativen, innovativen wissenschaftlichen Fortschritt. Nicht nur Wissen, sondern auch Zweifel und Einsicht in Nichtwissen als Erkenntnisziel? Ja, wenn dieses Ziel Fragen und Einsichten den Weg bereitet, die sich aus rein disziplinärer Sichtweise nicht ergeben würden. Unsere Transdisziplinarität unterstützt uns dabei, fachlichen Konsens kritisch zu hinterfragen.

PTA#

Jean H.M. Wagemans: Periodic Table of Arguments. Website: https://periodic-table-of-arguments.org/, Literatur: https://uva.academia.edu/JeanHMWagemans

Walton & Reed 2008#

Walton, Douglas N.; Reed, Chris; Macagno, Fabrizio (2008). Argumentation schemes. Cambridge; New York: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017%2FCBO9780511802034. ISBN 9780521897907. OCLC 181424052

Wank 2020#

Juristische Methodenlehre. Vahlen 2020.

Autoren: Johannes Busse, Anatol Reibold, 2023-09-16. Textlizenz: Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)