Ontologien in der Strukturalistischen Theorienkonzeption W. Stegmüllers#

(Der vorliegende Text versucht, eine Ontologie als einen Teil des Theoriekerns im Kontext der Strukturalistischen Theorienkonzeption Wolfgang Stegmüllers zu verstehen. Das ist eine wissenschaftstheoretische Position aus der zweiten Hälfte des 20. Jhdt, die z.B. auf der Homepage von Klaus Manhart sehr anschaulich dargestellt wird.)

Ontologien sind Terminologien, die besonders weitgehend formal-logisch formalisiert wurden. Ontologien formalisieren nicht nur Begriffe, sondern normieren sie auch. Wenn Wittgenstein recht hat, dass die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt bedeuten, greifen Ontologien in Denken ein. Es stellt sich die wissenschaftstheoretische Frage, wie wir die “Wahrheit” oder “Angemessenheit” einer Ontologie beurteilen können.

In meinem Studium hat man mit in den Logik-Vorlesungen beigebracht, dass sich die “Bedeutung” eines Ausdrucks aus den Bedeutungen seiner Teilausdrücke zusammensetzt. Entsprechend könne man - so habe ich das gehört - auch Zusammenhänge zwischen verschiedenen Begriffen durch eine Analyse der grammatischen Strukturen der Umgangs- oder Schriftsprache erschließen. Heute glaube ich nicht mehr an dieses sogenannte Frege-Prinzip, Kompositionalitätsthese. Im Gegenteil bin ich bereit, menschliche Sprache als ein Faszinosum zu betrachten, das durch seine Unschärfen und seine Einbettung in menschliche Handlungszusammenhänge immer wieder neue Bedeutung generiert.

Spache als Faszinosum zu betrachten heißt nicht, dass man nicht auch Sprache der mathematisch-strukturwissenschaftlichen Modellbildung zuführen kann. Es heißt lediglich, dass man darauf gefasst sein sollte, dass die mathematisch-strukturwissenschaftlichen lediglich Teilaspekte von Sprache abbilden kann und man gut daran tut, auch die nicht abbildbaren Aspekte im Blick zu behalten. (“Im Blick behalten” ist natürlich ein metaphorischer Ausdruck, und in der Tat leisten Metaphern einen wesentlichen Beitrag zur sprachlichen Verständigung über formal nicht abbildbare Inhalte von Kommunikation.)

Terminologien erklären Begriffe, und Ontologien fügen hierzu noch eine Schippe Formales ‘drauf. … Grundlegend unterschiedliche Arten von Definitionen:

  • “Eine Realdefinition oder Sacherklärung ist eine Definition, die Aussagen über Eigenschaften eines Gegenstandes oder Sachverhalts enthält, die im Hinblick auf diesen Gegenstand oder Sachverhalt für wesentlich gehalten werden. […] Eine Realdefinition ist also […] informativ bezüglich des Bezeichneten.” https://de.wikipedia.org/wiki/Realdefinition

  • “Eine Nominaldefinition ist die Festlegung der Bedeutung eines Begriffs (Definiendum) durch einen bereits bekannten Begriff oder mehrere bereits bekannte Begriffe (Definiens). Da das Definiendum bedeutungsgleich mit dem Definiens ist, könnte man von einer tautologischen Umformung sprechen. […] Nominaldefinitionen enthalten keine empirischen Informationen und erleichtern so z. B. Diskussionen über Fachjargon. Sie können folglich auch nicht wahr oder falsch sein, sondern erweisen sich in der konkreten Verwendung als brauchbar/zweckmäßig bzw. als unbrauchbar/unzweckmäßig. Sie sind normativ.” https://de.wikipedia.org/wiki/Nominaldefinition

Formale Systeme bewegen sich immer nur auf und ausschließlich auf der nominalen Ebene. Manche Mathematiker sind geraezu stolz darauf, sich in rein formalen Räumen zu bewegen, und Zusammenhänge ohne Bezug auf die reale Welt herzustellen. Ihre Welt ist die der abstrakten Glasperlenspiele, und in der Konstruktion von solchen Spielen sind sie Nichtmathematrikern haushoch überlegen.

Auch die Umkehrung gilt: Die Mathematik als Wissenschaft stellt keine Methodologien über die Anwendung und Anwendbarkeit von Glasperlenspielen bereit. Wenn überhaupt, dann sind es Mathematiker-Menschen, die uns mathematische Strukturen anschaulich anhand gut geeigneter Beispiele erklären. Diese Erklärungkomponente ist eine menschliche, nicht eine mathematische.

Die Unterscheidung von Glasperlenspiel und Wirklichkeit ist eine metaphorische, um Anschaulichkeit bemühte Interpretation der Strukturalistischen Theorienkonzeption in der Fassung von Wolfgang Stegmüller, anschaulich dargestellt in https://www.klaus-manhart.de/mediapool/28/284587/data/07-strukturalismus.pdf. Ganz knapp besteht eine Theorie aus zwei Teilen:

Der Theoriekern ist nur eine formale, mathematische Struktur, die nichts über die Welt aussagt, insbesondere auch nicht, was überhaupt von der Welt erfasst werden soll. Anders als mathematische Theorien wollen empirische Theorien aber Informationen über bestimmte Realitätsausschnitte liefern. Dies bedeutet, dass der Theoriekern in Beziehung gesetzt werden muss zu dem Weltausschnitt, den die Theorie behandeln soll. Diese für die Theorie vorgesehenen Realitätsausschnitte bezeichnet man als Menge der intendierten Anwendungen und benutzt dafür das Symbol I.

https://www.klaus-manhart.de/mediapool/28/284587/data/07-strukturalismus.pdf, S. 10

Eine Ontologie - also einen Zustand eines Glasperlenspiels - als eine formalisierte Terminologie zu interpretieren heißt anzugeben, welche Brücken zwischen den formalen Symbolen und der Wirklichkeit bestehen. In der strukturalistischen Theoriekonzeption kann das nur informell geschehen.

Ich glaube, dass die Brücken zwischen Glasperlenspiel und Wirklichkeit um so haltbarer sind, je weniger fachsprachliche Anteile in ihre Konstruktion eingebaut sind. (Das ist eine empirisch gehaltvolle These, die auch falsch sein kann.) So kann man das erreichen:

  • Benutze für Realdefinitionen eine anschauliche, empirisch aussagekräftige, metaphorische Sprache.

  • Halte Realdefinitionen und Nominaldefinitionen gut auseinander, statt sie zu vermischen.

  • Vermeide es insbesondere, in Realdefinitionen Nominaldefinitionen einzubetten.

These: Integraler Teil einer Ontologie soll es sein, mit Hilfe von Realdefinitionen Vorstellungen von Begriffen zu kommunizieren, die von anderen zu formalisierenden Begriffen weitestgehend unabhängig sind. Denn nur vor dem Hintergrund einer von Nominaldefinitionen unabhängigen Kommunikation lassen sich die vielfältigen logischen Axiome von Begriffs-Systemen überhaupt erst erstellen und auf Angemessenheit überprüfen.

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